Vor einem Jahr (19. Juni 2021) verstarb unser Ehrenmitglied und Trainer-Legende Ernst Wirz.

Anlässlich der Abdankung in der Kirche in Ennenda hat sein langjähriger Spieler und Assistenztrainer Markus Hagmann einen bewegenden Nachruf verfasst. Markus Hagmann hat uns diesen Nachruf zur Verfügung gestellt. Besten Dank.

NLB-Mannschaft des FC Glarus – Saison 1988/1989 – Ernst Wirz (mittlere Reihe, rechts aussen) als Coach dieser Mannschaft
Ernst Wirz (Trainer) und sein Captain bei den A-Junioren, Markus Hagmann (Verfasser dieses Nachrufs)

Text von Markus Hagmann (anlässlich der Beerdigung von Ernst Wirz)

Von Ernst gibt es so viel Erzählenswertes. Wenn seine ehemaligen Junioren sich irgendwo zufällig treffen, dann tauschen sie – kaum haben sie sich begrüsst – die alten Geschichten aus, in denen jeweils Ernst Wirz die Hauptrolle spielt.
Aus diesem reichhaltigen Fundus von Episoden, Geschichten und Anekdoten fische ich nun ein paar wenige heraus, um Ernst nochmals aufleben zu lassen.
Meine erste Erfahrung mit ihm geht in die 60er-Jahre zurück. Ich hatte als 10-jähriger Knirps von meinen Eltern die Erlaubnis erhalten, am Abend dem „Eis-Matsch“ zwischen meinem FC Näfels und dem FC Glarus beizuwohnen. Der Fussballplatz war damals noch im Netstal-Maschinen-Areal. Die Spieler zogen sich mitten im Dorf um und marschierten dann gemeinsam durchs Dorf auf den Platz. Das war wie der Einzug der Gladiatoren – für mich imposant und beeindruckend. Und dabei fiel mir ein gegnerischer Spieler besonders auf. Kahlrasiert, mit finsterem und entschlossenem Blick betrat er den Rasen. Und genauso spielte der dann auch Fussball – kompromisslos mit sich selbst, und auch sein Gegenspieler bekam einiges ab. Ich hatte mächtigen Respekt vor ihm.
4 Jahre später zogen wir nach Glarus um. Ich musste wohl oder übel zum FC Glarus wechseln. Mir wurde beschieden, dass ich bei den B-Junioren eingeteilt sei und mein neuer Trainer Ernst Wirz heisse. Das sagte mir nicht viel. Und so ging ich recht erwartungsfroh zum ersten Training. Da sah ich ihn dann heranbrausen, in seinem giftig roten, zweisitzigen Lancia. Er fuhr nicht einfach heran. Ich spürte instinktiv, dass in diesem Fahrzeug viel Energie und viel Temperament sass. Als er dann ausstieg, erkannte ich ihn trotz längerer Haarpracht sofort wieder. Ich ahnte nichts Gutes. Und die ersten Trainingseinheiten bestätigten meine Befürchtungen. Strenge Regeln und eiserne Disziplin wurden eingefordert und die Anweisungen erfolgten immer messerscharf – und streng war es. Ich bereute in diesen ersten Trainings meinen Übertritt einige Male. Meine Mannschaftskollegen kannte ich zu Beginn noch nicht so gut. Aber ich spürte, ihnen ging es ähnlich wie mir.
Wir merkten dann aber schnell, dass sich hinter dieser strengen Fassade ein viel weicherer Kern verbarg. Wir gewöhnten uns an das harte Regime und lernten es sogar immer mehr schätzen. Und bald sahen wir den Sinn auch ein, weil wir immer mehr Erfolge feierten. Wir stiegen innert kurzer Zeit sowohl mit den B- als auch dann mit den A-Junioren in die zweithöchste Juniorenklasse der Schweiz auf und mischten dort jeweils problemlos vorne mit.
Wir lernten es ungemein schätzen, dass Ernst uns ermöglichte, unser Hobby in der Intensität und in der Qualität auszuüben, wie wir uns das wünschten. Er formte aus dieser heterogenen Truppe, die sich aus Handwerkern, „Bürogummis“ und Kantischülern zusammensetzte, eine verschworene Einheit (die Kantischüler schätzte er eigentlich nicht übermässig, denn die Studierten, wie er ihnen sagte, machte er für viele Übel in unserer Gesellschaft verantwortlich. Wenn man sich aber ein wenig am „Riemen“ riss, konnte man diesen Makel recht gut kompensieren).
Man kann heute mit Fug und Recht behaupten, dass Ernst damals einen wichtigen Grundstein zum späteren Höhenflug des FC Glarus legte.
Ernst machte sich einen Namen mit seinen unkonventionellen Methoden, die weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt waren. So rannten wir im Sommertraining zur Äugstenhütte hoch und im Winter trabten wir beim ärgsten Schneetreiben über Sool und Schwändi – Ernst natürlich immer vorne weg. Wenn aber von Ernsts Unkonventionalität gesprochen wird, dann darf eine Episode nicht unerwähnt bleiben. Sie trug sich bei einem Meisterschaftsspiel der Inter A2-Junioren in Lachen zu. Ernst erwartete von uns – wie eigentlich immer – einen Sieg. Zur Pause war er jedoch mit unserer Leistung überhaupt nicht zufrieden. Andere Trainer griffen in solchen Situationen in die psychologische Trickkiste. Ernst hatte auch eine Trickkiste. In der befand sich auch etwas Psychologie. Diese deckte sich allerdings nicht unbedingt mit der Lehrmeinung, war jedoch umso effektiver. Er stauchte uns zuerst einmal gehörig zusammen, so dass einige vor Schreck den Tee verschütteten. Das spielte jedoch keine Rolle, denn der Pausentee war sowieso gestrichen und wurde ersetzt durch ein viertelstündiges Sprinttraining. Die gegnerischen Spieler grinsten schadenfreudig, die umstehenden Zuschauer schüttelten verständnislos den Kopf und wir hatten ein zünftig schlechtes Gewissen. Wir drehten dann in der zweiten Hälfte das Spiel und brachten die Punkte ins Trockene. Trotz des mächtigen Donnerwetters am Nachmittag läuteten wir wie jeden Samstag pünktlich um 18.00 Uhr bei Cécile und Ernst, weil wir mit den beiden die Sportschau mit Bundesligafussball verfolgen wollten.
Wir hatten schöne sportliche Erfolge. Nachhaltiger aber war das, was Ernst mit seinem mehr als 100-prozentigen Einsatz für uns und den FC Glarus vorlebte. Wir haben erlebt, dass Erfolg auf harter, seriöser und hin und wieder auch ungemütlicher Vorarbeit basiert. Wir haben vorgelebt bekommen, dass jeder sein Schicksal in den eigenen Händen hält. Uns ist bewusst geworden, dass der Einzelne seine Bedürfnisse zugunsten der Gemeinschaft etwas zurückstellen muss und letztlich trotzdem mehr profitiert, als wenn er sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Wir haben gelernt, dass das Einhalten von Regeln und Disziplin wichtige Leitplanken in unserem Leben darstellen. Ich bin seit fast 40 Jahren Schulmeister. Wenn ich heute einmal einen Lehrling etwas ruppiger in den Senkel stelle, als es die Pädagogische Fachhochschule erlauben würde, dann spüre ich, dass die Schule von Ernst Wirz nachwirkt.
Wir wissen, Ernst gab für uns und den FC Glarus immer weit über 100%. Nach dem Training war der Abend für ihn noch lange nicht zu Ende. Wir besuchten, wie das auch bei anderen Vereinen üblich ist, jeweils ein Restaurant, um unsere Stange, unser Panaché zu trinken. Ernst konnte aber nicht einfach ruhig am Tisch sitzen, sondern war sofort wieder für den FC aktiv. Wenn wir dann das Lokal nach einer halben Stunde verliessen, hatte der Wirt zwei Matchbälle gesponsert, auf dem Tisch des Damenturnvereins lagen mehrere FC-Glarus-Wimpel und der Malermeister hatte soeben seine Bandenwerbung im Buchholz für die kommende Saison erneuert. Ernst sagte dann jeweils: Du musst im Klub keine ausgeklügelte Sponsoring-Abteilung aufbauen. Die Leute sind dem FC wohl gesinnt. Du musst mit den Leuten reden und auf sie zugehen. Sprach‘s und steuerte das nächste Restaurant an. Nicht, weil er Durst hatte, sondern weil er in seinem Auto noch eine Menge FC-Glarus-Wimpel hatte, die er noch verkaufen wollte.
Ernst lebte für den Fussball und vor allem auch für den FC Glarus, wie intensiv er das machte, wurde mir einige Jahre später ein weiteres Mal vor Augen geführt. Im Jahre 1993, seine ehemaligen Junioren spielten schon in beschaulichem Rhythmus bei den Senioren, erfuhr ich in einer Vorschau einer grösseren Tageszeitung zur bevorstehenden 1. Liga-Saison, dass der FC Glarus faktisch schon als Absteiger feststand, weil er kaum eine Mannschaft zusammenbringen würde und die Saison möglicherweise gar nicht mehr in Angriff nehmen könne. Ich ahnte, wer diese undankbare Mission wohl als Trainer übernehmen würde. Und tatsächlich rief mich Ernst einige Tage später an und teilte mir mit, er habe das Traineramt übernommen und brauche noch einen Coach. Ich müsse auch noch mitspielen, weil die Spielerdecke etwas dünn sei. Ernst fragte nicht, ob ich allenfalls Interesse oder Lust dazu hätte. Er hatte es nicht so mit unnötigen Fragen – und schon gar nicht in solchen Situationen. Ich entgegnete ihm, dass diese Aufgabe eigentlich aussichtslos sei, es könne ja nur noch darum gehen, anständig in die 2. Liga abzusteigen. Doch das Wort „aussichtslos“ existierte in Ernsts Vokabular gar nicht. Er hatte zwanzig Begriffe fürs Gegenteil bereit. Aussichtslos gab‘s für ihn im Fussball nicht.
Ich leistete dann seiner Aufforderung Folge – allerdings mit sehr gemischten Gefühlen. Und als ich dann im ersten Training das kümmerliche Häuflein von 8 oder 9 Spielern antraf, verstand ich, was der Journalist in seiner Vorschau prophezeit hatte. Ernst aber war in seinem Element. Er trainierte mit uns vier Mal in der Woche, suchte ständig neue Spieler und verkaufte selbstverständlich weiterhin seine Matchbälle und seine Wimpel. Und er brachte es fertig, dass zu Beginn der Meisterschaft eine kompetitive Mannschaft auf dem Platz stand.
Dreiviertel-Saison später spielten wir ganz vorne mit. Und weil wir einen ungemein guten Lauf hatten, fragte ich ihn nach einem gewonnenen Spiel, was wir denn machen würden, wenn wir uns für die Aufstiegsspiele in die Nationalliga B qualifizieren würden. Ernst schaute mich verständnislos an (mit unnötigen Fragen konnte er wirklich nichts anfangen) und meinte dann nur: “Dann steigen wir natürlich auf, was meinst du denn.“
Wir verpassten den zweiten Platz, der für die Aufstiegsspiele berechtigt hätte, relativ knapp.
Die Episode zeigte mir aber einmal mehr, wie viel Ernst mit seinem Enthusiasmus, seinem Herzblut und seinem unbändigen Einsatz für den FC Glarus erreicht hatte.
Viele Anwesende werden jetzt ihre Geschichten vermissen, werden sagen, dass dies und jenes auch erwähnt werden müsste. Alle haben Recht. Und genau in diesen Geschichten lebt Ernst Wirz bei uns weiter.

Ernst Wirz als 1. Liga Trainer mit den zwei jungen Spielern Remo Pesenti und Patrick Salgado
Ernst Wirz (rechts) als 1. Liga Trainer mit dem Vize-Präsident des FC Glarus, Sigi Beglinger (links) und dem Präsident des FC Glarus, Ypsch Hösli (mitte)
Ernst Wirz
Ernst Wirz (Trainer) und sein Captain bei den A-Junioren, Markus Hagmann (Verfasser dieses Nachrufs)