Bericht von Stefan Baumgartner (SFV) im OFV Info Herbst 2024 zum Thema “play more football”

Ein nasskalter Winterabend irgendwann im März 2022. In einem Schulungsraum der lintharena in Näfels hat Marc Eigenmann die (in diesem Moment undankbare) Aufgabe, den Juniorentrainerinnen und -trainern im Namen des Glarner Kantonalverbandes das Projekt «play more football» zu präsentieren, das der Schweizerischen Fussballverband (SFV) einführen will. Per Start der Saison 2023/24 soll es im ganzen Land für die Kategorien G bis E sowie FF12 obligatorisch werden. Es gibt skeptische Blicke allenthalben – und noch viel mehr Fragen zum Projekt. Die Gedanken der Coaches kreisen, Diskussionen entwickeln sich, alle sind bereits mittendrin in der noch sehr ungreifbar scheinenden Materie. Nach dem theoretischen Teil folgt der praktische, draussen auf dem Kunstrasen. Das vorher Gehörte wird nun in der Praxis ein erstes Mal getestet. «Das überfordert doch die Kids masslos, bis sie realisieren, dass sie bei einem Fehlschuss den Ball holen und in den Kreis setzen müssen», hört man zum Beispiel jemanden sagen. So oder ähnlich kritisch dürfte es andernorts ebenfalls getönt haben. «Es war gewissermassen eine Revolution», sagt Dominik Müller rückblickend. Der Kinderfussball-Verantwortliche im SFV war an der Entwicklung und Umsetzung des Grossprojekts massgeblich beteiligt und weiss, dass die Neuerungen für alle Involvierten einschneidend waren. «Uns ist bewusst, dass der Initialaufwand für alle gross war. Bei den Vereinen war vonseiten des SFV und den Regionalverbänden nicht zu unterschätzende Überzeugungsarbeit notwendig.

NEUES SPIELSYSTEM BRINGT HERAUSFORDERUNGEN

Die Einführung eines neuen Spielformats bedingt in der praktischen Umsetzung viele Massnahmen: das Erstellen von Schulungsmaterial und neuen Kleinfeld-Trainingsformen, die Anpassung der Trainerausbildung, das Schulen der Coaches in vier Sprachregionen, die Trainings mit den Buben und Mädchen auf dem Platz, die Neuausrichtung der Turnierorganisationen nach einem vorgegebenen Schema respektive Spielplan (je nach Anzahl teilnehmender Teams) usw. Umso wichtiger war die schrittweise Einführung von BRACK.CH play more footbal» durch den Support und die Begleitung von lokalen Mentoren wie beispielsweise Marc Eigenmann im Glarnerland. Der SFV überliess es damals allen Regionalverbänden selber, zu welchem Zeitpunkt sie play more football übernehmen wollten. Alle wussten aber vorab: Ab der Saison 2023/24 gibt es in den oben genannten Kategorien schweizweit nur noch diese eine Spielform. Manche, wie etwa der Neuenburger Verband, führten sie schon vor drei Jahren und nach einem vorherigen Pilotversuch im Mittelländischen Fussballverband fix ein. «Nach dieser Testphase war das Feedback der Klubs eingeholt, ausgewertet und das Projekt weiterentwickelt worden», erzählt Dominik Müller. «Dann hat es jeder Regionalverband in seinem Tempo innert drei Jahren einführen dürfen. Es ist cool zu sehen, wie Trainerinnen und Trainer, die Klubs, die KiFu- Verantwortlichen und die Sportämter aufsprangen, mitzogen, das Projekt umsetzten und es auch leben. Es wurde und wird sehr lösungsorientiert gearbeitet.» Im OFV ist play more football seit Sommer 2023 Pflicht.

SPASS, FAIRPLAY UND RESPEKT

Zurück ins Glarnerland, nach Näfels. Dort trainiert Leonardo Russo, der während Jahren Stammspieler in der 1. Mannschaft des FC Linth 04 war, in seiner vierten Saison die Klein(st)en des Vereins aus Glarus Nord. Nach zwei Saisons bei den G-Junioren sind es seit diesem Sommer die F-Junioren, die nun zweimal pro Woche bei ihm im Training erscheinen. Auch Russo und seine Assisten- ten waren skeptisch, als sie erstmals von play more football zu hören bekamen. Die Vorsicht ist längst der Positivität gewichen. Play more football ist ein hervorragendes Kon- zept, um die fussballerische Entwicklung der Kinder voranzutreiben. Die Förderung der Spielintelligenz, des Umschaltspiels und die ständige Schulung von Über- und Unterzahlsituationen sind grosse Pluspunkte», hält Russo fest. «Die Kinder sind motivierter, haben mehr Spass am Spiel, die häufigeren Ballkontakte verbessern ihre technischen Fähigkeiten, sie spielen ständig in anderen Konstellationen, müssen kreative Lösungen finden und viele Entscheide treffen.» Das Lehrbuch könnte es kaum besser zusam- menfassen, play more football fördert die Individualität der Kinder. Sie lernen auf spielerische Weise auf dem Kleinfeld und in einer Turnierform ohne Resultat und Rang- liste zu dribbeln, passen und zu schiessen. «Im Kinderfussball gilt ‘Erlebnis vor Ergebnis’. Alle Kinder sollen unbeschwert spielen und Spass haben können – geprägt von Fairplay und Respekt», heisst es beim SFV unter anderem. Gerade die letzten beiden Punkte werden in Russos Team ohnehin grossge- schrieben. Wer ein Foul begeht, entschuldigt sich beim Gegner und fragt kurz nach, ob alles okay ist. Dafür sitzt die Sache mit dem nebensächlichen Resultat nicht so ganz. Während die Trainerinnen und Trainer die Tore (oder Gegentore) längst nicht immer mitzählen, wissen die Kleinen stets Bescheid über den aktuellen Spielstand. Das ergebnis- orientierte Denken ist nicht ganz aus den Köpfen der Kinder verschwunden, schliesslich spielen sie auf dem Pausenplatz ja auch Fussball. «Sie wünschen sich einen Spiel- stand und eine Rangliste», hat Russo beobachtet.

KOGNITIV ANSPRUCHSVOLL

Elemente wie Corner, direkter Freistoss oder Einwurf, die essenzielle Bestandteile des Spiels sind, werden im jüngsten Juniorenbereich bewusst noch weggelassen. Speziell bei play more football ist unter anderem, dass diejenige Spielerin / derjenige Spieler dem Ball hinterherlaufen muss, die/ der ihn vor dem Verlassen der Seiten- oder Torauslinie zuletzt berührt hat. Anschliessend muss der Ball so schnell wie möglich in jenes der vier Depots zurückgelegt werden, aus welchem das nun angreifende Team den Ball geholt hat. «Die Regel mit Ballholen ist kognitiv anspruchsvoll», gibt Dominik Müller vom SFV zu. «Aber sie bringt Dynamik ins Spiel. Beide Teams müssen sich neu orientieren, es entstehen ständig neue Spielsituationen. Schon nach zwei bis drei Spielen auf dem Kleinfeld können die meisten Kinder die Ballhol-Regel sehr gut umsetzen.»

ÜBERAUS POSITIVES FAZIT

Der SFV zieht nach der ersten vollen Saison play more football in der Schweiz ein überaus positives Fazit. Dominik Müller fasst zu- sammen: «Das Format ist bei allen Parteien längst akzeptiert. Andere Länder blicken neidisch auf uns, denn der Trend in Europa geht genau in diese Richtung. Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen, nicht zuletzt dank grossartigem Support durch die Klubs, die Regionalverbände und unseren Partner BRACK.CH, dessen Engagement wahnsinnig wichtig war und ist.» Künftig möchte der SFV punktuellen Support in Vereinen und Regionalverbänden anbieten, sei es mit Trainingsinhalten oder an Turnieren. Es gelte, ständig am Ball zu bleiben und den Kinder- fussball als so wichtige Basis zu stützen, zu stärken und weiterzuentwickeln. Weitere Infos zu BRACK.CH play more football sind unter https://www.football.ch/play-more- football_neu.aspx zu finden.