Bericht von Paul Hösli für die Südostschweiz vom Samstag 25. März 2023:
Der FC Glarus startet am Sonntag in der 3. Liga in die Rückrunde. Damit werden die Fussballer aus dem Hauptort an der langen Vereinsgeschichte weiterschreiben. 1912 wurde der FC Glarus gegründet, mit dem Höhepunkt in den späten 1980er- und anfangs der 1990er-Jahre. Der Verein aus dem beschaulichen Glarnerland stieg in die Nationalliga B auf, die zweithöchste Spielklasse der Schweiz. Mittendrin statt nur dabei war damals Hans Umberg als Vorstandsmitglied. Er besitzt zudem unzählige Dokumente des Vereins, die bis ins Gründungsjahr zurückreichen.
Der 68-jährige Stadtglarner war zudem viele Jahre im Vorstand und kann daher die eine oder andere Anekdote erzählen.
In welchem Jahr wurde der FC Glarus gegründet? Gegen wen hat sich Glarus in der Saison 1987/88 in den entscheidenden Aufstiegsspielen in die Nationalliga B durchgesetzt? Wie hoch gewann Glarus beim historischen Sieg am 13. August 1988 im Basler «Joggeli»? Um diese Fragen zu beantworten, können sich Interessierte des umfangreichen Wikipedia-Eintrags des FC Glarus bedienen – oder Hans Umberg fragen. Der 68-Jährige ist quasi das Gedächtnis des Stadtglarner Fussballvereins.
«Als der FC Glarus 1987 sein 75-Jahr-Jubiläum feierte, entschied sich der Vorstand, eine Jubiläumsschrift zu veröffentlichen», sagt Umberg. Er sei damals an der Vorstandssitzung der «Auserwählte» für dieses Projekt gewesen, sagt der Stadtglarner und lacht. So gelangte Umberg in den Besitz von stapelweise Unterlagen, welche bis ins Gründungsjahr 1912 des FC Glarus zurückreichen. «Das sind diverse gebundene Bücher mit Fotos und Artikeln, Protokolle von Vorstandssitzungen und etwa ein Bussenzettel über zehn Franken für einen nicht zurückgesendeten Spielerpass», erzählt er. Die Bücher seien wie eine Zeitreise und Umberg ergänzt: «Das Erstaunliche ist, dass es in den Anfangszeiten nicht einfach nur Matchberichte sind, sondern die Texte wie ein Tagebuch verfasst wurden.»
So heisst es in einem Eintrag vom 22. Januar 1933: «An diesem Sonntag fand in Glarus zum ersten Mal ein Eishockey-Wettspiel statt und wir Fussballer mussten ausgerechnet an diesem Tage bei 30 cm Schnee und 15 Grad Kälte unseren ‹Rasensport› ausüben. Nicht gerade in guter Stimmung fuhren wir in Glarus ab und alle waren sich einig, dass wir spielen würden und Tore schiessen, so viel wir könnten.»
Eine Winterpause gab es damals offenbar nicht. Die widrigen Bedingungen waren für die Glarner jedoch kein Hindernis und sie liessen ihren Worten Taten folgen. Sie gewannen die Partie in Schmerikon bei «einem scheusslichen Schneesturm» mit 9: 2. Auf der nationalen Fussballbühne
Das Fussballvirus wurde Hans Umberg von seinem Vater übertragen, der jahrelang beim FC Glarus in verschiedenen Funktionen tätig war. Der pensionierte Treuhänder Umberg spielte selber viele Jahre auf Junioren- und Aktivstufe für den FC Glarus. «Mehrheitlich für die zweite Mannschaft in der 4. Liga mit vielen Gruppensiegen und in der Regel einem Scheitern in den Aufstiegsspielen zur 3. Liga – mangels Ehrgeiz», sagt das Ehrenmitglied des FC Glarus mit einem Lachen.
Hans Umberg war auch lange im Vorstand des Stadtglarner Fussballvereins. Die wohl prägendste Zeit erlebte er in den späten 1980er- und 1990er-Jahren. Es war die Zeit, als der kleine Provinzverein aus dem beschaulichen Glarnerland die grosse nationale Fussballbühne betrat. Innerhalb von zwei Saisons marschierte der FC Glarus direkt von der 2. Liga in die Nationalliga B durch. So hiessen die Gegner ab der Saison 1988/89 fortan nicht mehr Balzers oder Altstätten, sondern Zürich und Basel. Eine wegweisende Entscheidung
Dass die Geschichte des Dorfvereins so bemerkenswert ist, daran ist Hans Umberg nicht ganz unschuldig. Anfang der 1980er-Jahre ging der FC Glarus neue Wege und verpflichtete mit dem deutschen Helmut Huttary einen ehemaligen Bundesligaspieler als Spieler und dann als Trainer. Nach anfänglichem Erfolg zeigte die Formkurve der Mannschaft aber nach unten. «So setzte der Vorstand eine ausserordentliche Sitzung im ‹Glarnerstübli› an, mit dem Resultat, den Trainer zu entlassen», erzählt Umberg. Es sei keine einfache und eine unpopuläre Entscheidung gewesen, letztlich aber wohl die richtige. Glarus konnte sich den Ligaerhalt sichern. «Hätten wir diesen Entscheid damals nicht gefällt, die Geschichte des FC Glarus wäre heute vermutlich eine andere», mutmasst Umberg.
Die Spielzeit 1984/85 nahm die erste Mannschaft unter der Leitung des ehemaligen Bundesligastars Wolfgang Frank in Angriff. Mit professionellen – aber auf die Amateurverhältnisse des Vereins zugeschnittenen – Methoden begann eine neue erfolgreiche Ära des FC Glarus. «Er war gegenüber dem Vorstand jedoch auch sehr fordernd», sagt Umberg über den 2013 nach schwerer Krankheit verstorbenen charismatischen Deutschen. Sie hätten ja keine Geschäftsstelle oder Ähnliches gehabt, sondern hätten ihre Tätigkeit im Vorstand ehrenamtlich ausgeführt.
Dennoch gipfelte die Arbeit von Frank und dem ganzen Vorstand im erwähnten Aufstieg in die zweithöchste Schweizer Spielklasse. «Das Erstaunliche war, dass wir dies mehrheitlich mit Spielern aus dem Kanton oder der näheren Region erreichten. Über Jahre wuchs etwas heran, es konnte eigentlich nur im Erfolg gipfeln», so Hans Umberg. Das sei eine der schönsten Erinnerungen an seine Vorstandszeit beim FC Glarus. Ein überraschender Anruf
Unter dem schillernden Präsidenten Fritz «Ypsch» Hösli kam es im Glarner Buchholz zu unvergesslichen Spielen, wie etwa im Cup gegen die damals amtierenden Schweizer Meister Grasshoppers Club Zürich oder Luzern. Der ehrgeizige Hösli strebte jedoch nach noch mehr, und so klingelte im Jahr 1989 eines Abends bei Hans Umberg das Telefon. «Setz dich hin», sagte Hösli zu ihm. «Wieso denn?», erwiderte Umberg. «Du musst dafür sitzen», so Hösli. Also habe er sich hingesetzt und den Worten von «Ypsch» gelauscht. «Ich habe soeben Hans-Peter Briegel verpflichtet», liess Hösli die Bombe platzen. Der Deutsche wurde 1986 mit Deutschland Vize-Weltmeister und spielte zuvor in der Seria A bei Sampdoria Genua. «Bist du wahnsinnig!?», habe er auf die Sensationsnachricht ungläubig geantwortet. Noch heute schlägt er sich die Hände über dem Kopf zusammen, wenn er die Anekdote erzählt. «Aber so war Ypsch, unglaublich ehrgeizig und erfolgshungrig.»
Vier Saisons konnte sich der FC Glarus in der Nationalliga B halten, ehe der Abstieg erfolgte. Das Abenteuer in der zweithöchsten Spielklasse hinterliess nicht nur magische Fussballnächte und tolle Erinnerungen, sondern auch ein grosses Loch in der Vereinskasse. Rund 600 000 Franken Schulden häufte Glarus an, zu der damaligen Zeit ein astronomischer Betrag – speziell für einen Verein wie Glarus. Jahrzehntelang musste der Verein diese Schulden abtragen, und auch sportlich ging es fortan bergab. Der Tiefpunkt folgte 2012 mit dem Abstieg in die 4. Liga, ausgerechnet zum 100. Geburtstag des Vereins. Heute spielt der FC Glarus wieder in der 3. Liga.
Hans Umberg ist noch immer mit dem Verein verbunden. «Mit den Veteranen treffen wir uns regelmässig zum Fussballtennis und zum Stammtisch. Zudem bin ich Mitglied der Sponsorenvereinigung 50er-Club.» Im Buchholz sei er jedoch länger nicht mehr gewesen, wie er einräumt. Fussballtennis mit den Veteranen
Heute ist Hans Umberg wichtig, den «Schatz», den er hütet, eines Tages in verantwortungsvolle Hände zu übergeben. Er hat auch nach dem 75-Jahr-Jubiläum 1987 noch rund zehn Jahre diverse Matchberichte und Programme gesammelt. «Ich muss das Ganze aber richtig ordnen und ‹büschelen›», so Umberg. Er sei zwar pensioniert, «mit einem kleinen Pensum im Geschäft», aber die Zeit bleibe dennoch knapp. «Ich hüte oft meine Enkelkinder», so der Vater von vier erwachsenen Söhnen.
Die Zeit für sein Projekt werde er sicher noch finden, sagt Umberg. Denn: «Ich möchte dieses umfangreiche Archiv des FC Glarus gerne für spätere Generationen zugänglich machen. Ein Museum wird es jedoch nicht geben.»