Gerne würden wir an dieser Stelle über Siege der FC Glarus Teams in der laufenden Meisterschaft berichten. Wie allen Bekannt sein wird, ist dies aktuell leider nicht möglich. Nutzen wir also die Chance und blicken ein wenig über den Tellerrand.
Das im Titel angesprochen Problem ist im Fussball im Juniorenbereich seit Jahren bekannt. Auch die Clubleitung des FC Glarus ist sich dieser Problematik bewusst und schaut jeweils bei den Kaderzusammenstellungen seit Jahren schon auch auf die unten beschriebenen Kriterien.
Bericht der luzernerzeitung.ch (Raphael Gutzwiller / 29.12.2018)
Der Schweizer Fussball hat mit einem Systemfehler zu kämpfen. Wer Ende Jahr geboren wird, hat es schwieriger an die Spitze zu kommen. Der Schweizerische Fussballverband versucht dies zu verbessern. Es ist aber kein leichtes Unterfangen.
Viele Buben träumen den Traum des Profifussballs. Doch nur bei den allerwenigsten geht dieser Traum auch tatsächlich in Erfüllung. Bei einigen ist er auch deshalb schon früh ausgeträumt, weil sie spät geboren sind. Denn, wer spät im Jahr Geburtstag feiert, z.B. im Dezember, hat bei vielen Leistungsmannschaften weniger Chancen als solche, die dann erst im Januar geboren wurden.
Das Phänomen hat einen Namen: relativer Alterseffekt. Der Begriff ist eng verknüpft mit dem Stichtag bei der Einteilung im Nachwuchssport, der jeweils am 1. Januar erfolgt. Die Fussball-Juniorenteams werden nach Jahrgang eingeteilt. Bei den Amateuren werden zwei Jahrgänge zusammengenommen, die U-Mannschaften bestehen aus einem Jahrgang. Wer am 31. Dezember geboren wird, hat somit direkte Konkurrenz, die fast ein ganzes Jahr älter sein kann. Körperlich sind Kinder und Jugendliche, die Anfang des Jahres geboren sind, weiter, werden dementsprechend in derselben Altersklasse als grösseres Talent wahrgenommen und besser gefördert. Wer besser gefördert wird, macht grössere Fortschritte. Somit zieht sich diese Spirale bis ins Erwachsenenalter.
Diese Tatsache ist bereits seit einigen Jahren bei den nationalen Fussballverbänden bekannt. Dennoch ist das Thema in allen europäischen Verbänden immer noch ein aktuelles Thema – auch in der Schweiz, wie die Statistik zeigt. Denn obwohl in der Schweiz das ganze Jahr über jeden Monat rund 3500 Knaben geboren werden, gibt es in allen Nationalmannschaften deutlich mehr Spieler, die Anfang Jahr ihren Geburtstag feiern. Als Massstab wurden jeweils die letzten Aufgebote für die letzten Länderspiele genommen.
Die Ergebnisse zeigen, dass in allen Schweizer U-Nationalteams von U15 bis U21 mehr als 60 Prozent der Spieler in der ersten Jahreshälfte zur Welt kamen. Selbst in der A-Auswahl werden noch 55 Prozent Anfang Jahr geboren. Übrigens handelt es sich hierbei nicht um ein Männerphänomen: Im Frauennationalteam sind fast 70 Prozent der Spielerinnen Anfang Jahr geboren.
Zufällig ist das Phänomen nicht, wie auch Heinz Moser, Auswahlchef des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV) feststellt: «Es ist tatsächlich so, dass Kinder, die Anfang Jahr Geburtstag haben, einen gewissen Vorteil besitzen.» Dieses Problem sei dem SFV bewusst, entsprechend hat er in den letzten Jahren mehrere Massnahmen und Projekte eingeleitet, um eine Chancengleichheit herzustellen. «Doch das ist nicht so einfach, weil die Problematik mehrere Aspekte beinhaltet.»
Der SFV arbeitet mit der Eidgenössische Hochschule für Sport in Magglingen zusammen, um Ideen zur Lösung des Problems zu entwickeln. «Für uns ist zuallererst entscheidend, dass wir den Trainern klar machen, dass bei den diversen Selektionen das Potenzial und nicht die aktuelle Leistungsfähigkeit beurteilt werden muss», sagt Moser. «So gibt es Spieler, die mit 14 oder 15 Jahren noch nicht weit genug für höhere Aufgaben sind, später aber durchaus den Weg zum Profifussballer oder zum Nationalspieler machen können.» Zudem gibt es betreffend der Talentförderung eine sogenannte Quote in den tieferen U-Mannschaften, bei der sie eine gewisse Anzahl an Spätgeborenen im Team haben müssen. «Die Quote ist jedoch ziemlich umstritten und löst das grundsätzliche Probleme auch nicht», sagt Moser. «Ein Spieler soll ja nicht nur darum ins Kader einer U-Mannschaft rutschen, weil er Ende Jahr geboren ist. Dennoch versuchen wir die Chancen fairer zu gestalten.»
In den U-Nationalmannschaften dagegen gibt es solche Regelung nicht. «Dort spielen jeweils diejenigen, die im Moment am besten und international konkurrenzfähig sind. In den Wettkampfjahrgängen U17 und U19 geht es auch darum, Erfolge zu feiern und sich für WM- und EM-Endrunden zu qualifizieren», sagt Moser. Eine Ausnahme bildet hierbei die erste nationale Auswahl, das U15-Nationalteam. «Seit einigen Jahren wird zur Förderung der Spätgeborenen auch ein zweites U15-Team gebildet und begleitet.» Im Frühling 2019 soll dieses Team zum ersten Mal internationale Begegnungen bestreiten. Für die Saison 19/20 ist geplant, dieses «Schattenteam» auf der Stufe U16 weiterzuführen.
Doch werden die langjährigen Stammspieler der U-Nationalmannschaft nicht besser gefördert, als jene, die nicht in diesen Genuss kommen? «Klar sind internationalen Spiele oder Endrunden wichtige Erfahrungen für die Entwicklung jedes Spielers. Aber auch ohne U-Nationalspieler gewesen zu sein, kann man es an die nationale Spitze schaffen», relativiert Moser. Beispiele dafür gibt es einige: Renato Steffen (Wolfsburg), Christian Fassnacht (Young Boys) oder Jonas Omlin (Basel, ex Luzern).
Der SFV hat in den letzten Monaten über eine weitere Projektidee diskutiert, welche vorsieht, dass der Stichtag zweimal im Jahr erfolgen könnte und nicht mehr nur am 1. Januar. «Dies würde bedeuten, dass Kinder, die im Herbst geboren sind, auch mal bei den ersten Monaten wären und sich so die Chancen ausgleichen könnten.» Der Nachteil: Die Juniorenteams würden sich noch rascher verändern, der Aufwand für die Änderung wäre für die Vereine sehr zeitaufwendig. «Und schliesslich haben wir dann keine Garantie, dass wir dadurch mehr Talente entdecken können, als dies heute der Fall ist», sagt Moser. Deshalb blieb die Idee bisher erst ein Projekt.
Bis Anfang der 1990er-Jahre war der Stichtag in der Schweiz übrigens noch im Juli datiert. «Vielleicht wäre ich sonst nicht Profifussballer geworden, wenn ich nicht im Oktober Geburtstag gehabt hätte», sagt Heinz Moser. Der Urner spielte in den 1990er-Jahren für den FC Luzern, den FC Sion, die Young Boys und für Thun. Später wurde der Stichtag vom 1. Juli auf den 1. Januar versetzt.
Der Nachteil der Spätgeborenen beginnt bereits viel früher als bei den U-Mannschaften, erklärt Moser. «Bereits im Alter der 13-Jährigen, die ins Spitzensportprogramm Footeco des SFV aufgenommen werden, sind zwei Drittel der Kinder in der ersten Jahreshälfte geboren.» Dieses Problem entstehe also nicht bei den Spitzenvereinen, sondern bei den Amateurvereinen im Nachwuchs. So besitzen bei den Kleinsten einige Vereine Wartelisten. «Und wie entscheiden dann die Juniorentrainer? Natürlich nehmen sie die Spieler ins Kader, die körperlich schon am weitesten fortgeschritten sind», sagt Moser. «Dadurch verlieren einige Spieler aber ein ganzes Jahr, in der sie noch nicht Fussball spielen dürfen. Andere sitzen vielleicht öfter auf der Bank oder können nur in einer weniger guten Mannschaft trainieren.» Den ehrenamtlichen Juniorentrainern in Amateurvereinen entsprechende Vorschriften zu machen ist derweil sehr schwierig. «Es ist ja verständlich, dass man die im Moment besten Spieler spielen lässt.»
Neben den Spätgeborenen gibt es noch eine andere Gruppe von jungen Buben, die einen Nachteil auf dem Weg zum Profifussball haben. «Es gibt Spieler, bei denen der biologische Entwicklungsstand im Vergleich zu Gleichaltrigen nachhinkt.» Man spricht bei diesen Kindern vom etwas unglücklich gewählten Begriff «retardiert». Die retardierten Spieler werden zwar im Junioren-Spitzenfussball extra gefördert, bei ihnen müssen aber die Verantwortlichen über viele Jahre sehr viel Geduld aufbringen. Dass sich dies lohnt, zeigen zwei Spieler aus der aktuellen nationalen Ligen: Hekruan Kryeziu (25, Zürich, ex Luzern) und Maxime Dominguez (22, Servette).
Besonders viel Geduld benötigte man bei der Entwicklung von Dominquez. «Erst seit kurzem ist er wirklich im Erwachsenenfussball angekommen und kann sich richtig durchsetzen», stellt Moser fest. Andere Spieler, wie Breel Embolo oder Albian Ajeti waren da schon mit 18 Jahren so weit. Für die ganz «schweren» Fälle gibt es auch die «Carte blanche», mit der man ein Jahr länger in einer Kategorie spielen kann. Von ihr profitierte etwa Fabian Rohner (20), der sich inzwischen beim FC Zürich durchsetzen konnte.
Aber ob «retardiert» oder Spätgeborene: Der SFV will die Chancen möglichst verbessern. Moser: «Wenn wir davon ausgehen, dass in jedem Monat gleich viele Talente zur Welt kommen, gehen uns immer noch einige durch die Lappen.» Diese Tatsache zu ändern dürfte aber kein Leichtes sein.
Bericht der tageswoche.ch (von David Bauer und Florian Raz / 09.04.2014):
Wer spät im Jahr geboren worden ist, hat im Sport kleinere Chancen, gefördert zu werden. Das liegt daran, dass bei der Selektion talentierter Kinder die körperliche Entwicklung zu schwer gewichtet wird. Die Schweiz ist dabei, Mittel gegen diesen sogenannten Relativen Alterseffekt zu entwickeln. Aber das Ziel ist noch weit entfernt.
Wer im spät im Jahr geboren worden ist, hat im Sport kleinere Chancen, gefördert zu werden. Das liegt daran, dass bei der Selektion talentierter Kinder die körperliche Entwicklung zu schwer gewichtet wird. Die Schweiz ist dabei, Mittel gegen diesen sogenannten Relativen Alterseffekt zu entwickeln. Aber das Ziel ist noch weit entfernt.
Der Fall des FC Barcelona hat das Thema wieder einmal aufs Tapet gebracht: Was ist Talent? Wer hat Talent – und ab wann muss er oder sie deswegen speziell gefördert werden? Die Katalenen sammeln auf der ganzen Welt Kinder ein, um sie in ihrer legendären Fussballer-Schmiede La Masia zu formen. Elfjährige Japaner, 13-jährige US-Amerikaner und 15-jährige Südkoreaner – das widerspricht den Regeln des Weltfussballverbandes Fifa. Und eigentlich auch dem gesunden Menschenverstand. Denn wer kann schon die Entwicklung eines Elfjährigen bis ins Erwachsenenalter voraussagen?
Der Fall Barcelona zeigt allerdings, wie früh Kinder selektioniert werden, denen eine grosse Karriere im Profisport vorausgesagt wird. Bloss, werden auch die Richtigen gefördert? Wie wird Talent gemessen, woran wird erkannt, welches Kind das Potenzial hat, zum Spitzenathleten zu reifen?
Möglich, dass Barça andere Normen anwendet. Oft aber ist die Antwort erschreckend einfach: Meist sind die nackten Resultate der Massstab. Das aber führt zu einer erheblichen Diskriminierung jener Kinder, die spät im Jahr geboren sind.
Kinder und Jugendliche werden im Sport – wie auch in der Schule – in Jahrgänge eingeteilt. Was zur Folge hat, dass wer im Dezember Geburtstag hat, fast ein Jahr jünger ist als seine Jahrgangskameraden, die im Januar geboren wurden. Bei einem Zehnjährigen macht das immerhin einen Zehntel seines gesamten Lebens aus. Entsprechend gross kann sein Rückstand in der körperlichen und geistigen Entwicklung sein.
Dieser Nachteil ist im Sport eins zu eins überall dort zu sehen, wo Kinder eines Jahrgangs in stärkere und schwächere Gruppen eingeteilt werden. Unter den selektionierten Kindern sind Geburtsdaten aus dem ersten Quartal des Jahres statistisch über-, jene aus dem letzten Quartal untervertreten. In der Wissenschaft bekannt ist das Phänomen unter dem Begriff Relative Age Effect, Relativer Alterseffekt (RAE).
«Betroffen sind alle Sportarten, in denen physische Merkmale eine Rolle spielen und Teamsportarten ganz besonders», sagt Michael Romann, der den REA bei der Eidgenössischen Hochschule für Sport in Magglingen wissenschaftlich untersucht hat und Wege sucht, um dem Effekt zu begegnen. Das jedoch erweist sich als äusserst kompliziert, obwohl das Phänomen längst international nachgewiesen ist. Romann stellt fest: «In den letzten zehn Jahren hat sich international kaum etwas verbessert.»
Tatsächlich lässt sich der Effekt weltweit nachweisen, wie die Untersuchung von über 240’000 Fussballergeburtstagen durch die TagesWoche zeigt. Besonders schön ist er bei jenen knapp 40’000 Fussballern mit einem Geburtsjahr nach 1993 zu sehen, die auf “transfermarkt.de” aufgelistet sind.
Aber auch in der Schweiz beweisen Proben, dass der Relative Alterseffekt noch immer deutlich sichtbar ist. In den Nachwuchs-Nationalteams in Fussball und Eishockey ist der RAE ebenso deutlich zu sehen, wie in der Talentschmiede des FC Basel oder bei jenen Junioren-Leichtathletinnen und -Leichtathleten, die von Swiss Olympic unterstützt werden.
Der Relative Age Effect beginne immer dort, wo eine Selektion stattfindet, hadert Romann mit dem Auswahlverfahren: «Da wird viel zu häufig auf die Physis geschaut. Wer ist gross und kräftig? Auch wenn das nicht bedeutet, dass dieses Kind langfristig zum besseren Sportler wird.»
So findet eine Diskriminierung der Spätgeborenen statt. Denn wer selektioniert wird, profitiert von einer besseren Förderung. Und Romann konstatiert: «Generell verdeutlicht der Effekt den grossen Selektionsfehler, der gemacht wird. Wir verlieren nicht nur statistisch gesehen 15 Prozent der Talente aus dem letzten Quartal des Jahres. Wir fördern auch 25 Prozent jener, die im ersten Quartal geboren sind, obwohl sie langfristig kaum Perspektiven haben.»
Das ist einerseits ein ethisches Problem. Andererseits kann es sich ein kleines Land wie die Schweiz eigentlich gar nicht leisten, die Fördergelder an die Falschen zu verteilen – und zugleich echte Talente zu verlieren, weil sie ihren Jahrgangskollegen zur Zeit der Selektion körperlich unterlegen sind.
Aus wissenschaftlicher Sicht gäbe es ein ganz einfaches Mittel, um mit dem RAE aufzuräumen, meint Romann: «Am besten ist es, bis zum Abschluss der Pubertät so wenig wie möglich zu selektionieren. Danach hat der Effekt nur noch einen geringen Einfluss.»
Doch das lässt sich mit den beschränkten Mitteln, die der Sportförderung zur Verfügung stehen, nicht durchführen. Also hat das Bundesamt für Sport 2010 gemeinsam mit Swiss Olympic, dem Dachverband des Schweizer Sports, das Projekt “Piste” gestartet, um dem Problem zu begegnen. Auch Romann gehört zu den Autoren.
«Piste» steht für Prognostische Integrative Systematische Trainer-Einschätzung und soll dafür sorgen, dass zur Auswahl von Talenten nicht nur nackte Resultate und die momentane körperliche Leistungsfähigkeit herangezogen werden. So werden die Trainer angehalten, die innere Motivation ihrer Schützlinge zu beurteilen, ihr familiäres Umfeld, ihre psychische Belastbarkeit.
Um die physischen Unterschiede während der Wachstumsphase auszugleichen, soll ein spät im Jahr geborenes Kind einen Bonus bei den zu Selektionen führenden Bewertungen bekommen. Dasselbe gilt für sogenannte Spätentwickler. Denn in der Kindheit gibt es nicht nur wegen eines frühen oder späten Geburtstermins im Jahr eklatante Unterschiede in der Entwicklung der Physis.
Die Wissenschaft spricht vom «biologischen Alter», wenn es um die körperliche Reife eines Kindes oder Jugendlichen geht. Während der Pubertät kann der Unterschied in der Entwicklung innerhalb eines Jahrgangs im biologischen Alter bis zu fünf Jahren betragen. Da muss sich im selben Team der eine schon rasieren, während der andere noch fast ein Kind ist. Auch dieses Problem sollte in der Schweiz mit der «Piste» angegangen werden.
Nach vier Projektjahren ist es noch zu früh, um ein abschliessendes Urteil zu fällen. Aber es gibt erste Indizien, die Romann noch nicht all zu optimistisch stimmen. Man sei weit davon entfernt, das Problem als gelöst zu betrachten, sagt der Sportwissenschaftler: «Der körperliche Vorteil scheint so stark zu sein, dass die Bonuspunkte für die Spätgeborenen und -entwickelten noch nicht ausreichen.»
Trotzdem hat die Piste durchaus Einfluss auf die Selektionen der Sportverbände. Bei den Leichtathleten von Swiss Athletics analysiert Isidor Fuchser als Chef Leistungssport Nachwuchs die Veränderungen. In seiner Sportart ist der RAE besonders stark. Und er verstärkt sich, je härter selektioniert wird. So stellte Swiss Athletics selbst fest, dass die Hälfte der Nachwuchskader-Athleten in den Monaten Januar bis März geboren wurden.
Mit der Einführung der Piste hat der Verband seine Selektionskriterien angepasst. Es wird vermehrt darauf geachtet, wie weit ein Jugendlicher in seiner körperlichen Entwicklung ist. «Wir versuchen, die Vergleichbarkeit von Gleichaltrigen möglichst zu objektivieren», sagt Fuchser und stellt eine Veränderung bei der Auswahl der Kader-Mitglieder fest, «bei den jüngeren Athleten, die nicht mehr selektioniert worden sind, hat es vor allem Januarkinder getroffen.»
Bloss weiss niemand, ob das eine Änderung hin zum Guten ist. «Ob die Selektionen korrekt waren, können wir noch nicht sagen», gibt Fuchser zu. Ganz einfach, weil es viel schwieriger ist, das Potential eines Kindes zu erkennen, als seine realen Ergebnisse anzuschauen
Auch darum werde Swiss Athletics nicht noch mehr Bonuspunkte für Spätgeborene verteilen, erklärt Fuchser: «Wenn wir bloss auf den Relative Age Effect eingehen, ist das zu sehr in die Glaskugel geschaut. Wer sagt uns denn, dass die Kinder, die jetzt körperliche Nachteile haben später doch noch gute Ergebnisse erzielen?»
Diese Garantie gibt es nicht, dazu steht Sportwissenschaftler Romann: «Obwohl wir von der Piste überzeugt sind, wird sich in der Praxis zeigen müssen, ob so mehr Talente gefunden werden.» Ganz abgesehen davon, dass der Einfluss der Piste nicht ganz einfach zu beweisen sein wird. Schliesslich spielen bei einer erfolgreichen Sportlerkarriere ganz viele Faktoren eine Rolle.
Da wäre zum Beispiel die Psyche: Ein Kind, das sich im Wettkampf durchsetzt, erlebt einen Erfolgsmoment. Ganz egal, ob der Erfolg durch den Relative Age Effect oder durch eine frühe körperliche Entwicklung begünstigt wurde. Der Erfolg und das Lob motivieren das Kind – vielleicht trainiert es deswegen gar mehr oder härter. Kinder ohne Erfolgserlebnisse können im Gegenzug den inneren Antrieb verlieren und aufgeben.
Markus Graf, Head of Development bei Swiss Ice Hockey, glaubt, dass dieser Effekt sehr weit gehen kann: «Wer mehr Wertschätzung und Eiszeit erhält, der wird halt vielleicht schon dadurch zum besseren Spieler.» Und auch er fragt: «Wenn wir den Älteren, Grösseren nicht fördern – holen dann die Kleineren später wirklich auf? Ich kann nicht alle fördern.»
Aber auch Swiss Ice Hockey ist auf den RAE sensibilisiert. Bis in die Altersstufe der 16-Jährigen gibt es eine Regelung, die es Spätgeborenen erlaubt, wenn nötig in einer jüngeren Alterskategorie zu spielen.
Ein ähnliches System hat der Schweizerische Fussballverband (SFV) eingeführt. Die Fussballer gelten unter ihrem Technischen Direktor Peter Knäbel als Schweizer Vorreiter, was die Bekämpfung des Relativen Alterseffekts betrifft.
Der SFV geht noch einen Schritt weiter als die Hockeyaner. Er kennt in seinem Elitefussball-Projekt “Footeco” nicht nur eine vorgeschriebene Quote für Spätgeborene pro Team. Es ist auch obligatorisch, dass diese in einer Partie über drei Mal 30 Minuten mindestens eine halbe Stunde lang eingesetzt werden.
Bislang gab es «Footeco» nur für die Stufen U12 und U13. Dass es im Sommer auf die U14 ausgeweitet wird, ist die Folge einer Einsicht, die der Verband mit Blick auf seine Nachwuchs-Nationalteams gewonnen hat. «Wir haben ein Problem beim Übergang von der Breite in die Spitze», sagt Knäbel.
Die Nachwuchs-Nationaltrainer würden die Spieler zwar nach technisch-taktischen Kriterien selektionieren: «Aber auf der vorhergehenden Stufe wird noch zu sehr darauf geachtet, welchen Einfluss einzelne Spieler auf das Resultat eines Spiels haben.» Sprich – wenn der SFV jene Spieler auswählt, die er speziell fördern will, hat er nur noch Auswahl aus einer Gruppe, die bereits einen massiven Relativen Alterseffekt aufweist. Die restlichen Spieler sind schon vorher verloren gegangen.
Um diese Klippe zu umschiffen, schiebt der SFV nun den Übergang vom Breiten- zum Spitzenfussball um ein Jahr nach hinten. «Ich bin überzeugt, dass ‹Footeco› tauglich ist, den Effekt zu korrigieren», sagt Knäbel. Und gibt gleichzeitig zu: «Ob man ihn je weg bekommt, ist schwer zu sagen.»
In Mannschaftssportarten kommt der Hunger nach dem Erfolg auf dem Platz erschwerend hinzu. Kaum ein Trainer, der nicht die momentan Besten aufstellt, um ein Spiel zu gewinnen. «Vor allem bis zur Stufe der U14 müsste ein Umdenken stattfinden», sagt denn auch Adrian Knup, als Vizepräsident des FC Basel für den Nachwuchs zuständig: «Da müsste mehr die Ausbildung der einzelnen Spieler zählen – auch mal auf Kosten eines Punktverlusts.»
Die Trainer des FCB seien durchaus sensibilisiert, sagt Knup, und «Der FCB hat schon immer auf technisch starke Spieler gesetzt.» Trotzdem weist der Basler Nachwuchs einen deutlichen RAE auf. Das hat auch mit den Resultaten zu tun, die Knup spätestens ab den unter 15-Jährigen schon wichtig sind: «Wir wollen eine Gewinnermentalität entwickeln. Die ist auch wichtig für die Entwicklung eines Spielers.»
Wobei sich die Tür für Spätentwickler beim FCB nicht komplett schliesst. Wer es knapp nicht in ein Nachwuchsteam der Rotblauen schafft, bekommt die Chance, via Partnerverein FC Concordia zu einem späteren Zeitpunkt wieder zum FCB wechseln zu können. «So fallen die Kleineren, Feineren nicht ganz aus dem Raster», sagt Knup.
Einen Trost gibt es für Dezemberkinder: Wer sich trotz widriger Umstände durchsetzt, kann später einen Vorteil haben. Bei kanadischen Eishockeyspielern etwa ist der Relative Alterseffekt im Juniorenbereich eklatant, kehrt sich aber um, wenn es um eine grosse Karriere geht: In der National Hockey League spielen viele Kanadier mit späten Geburtsdaten. Sie setzten sich als Junioren stets mit Technik und Taktik gegen harten Widerstand der stärkeren Konkurrenten durch. Als sie schliesslich körperlich aufgeholt hatten, waren sie schlicht besser als ihre Jahrgangskollegen.
240’000 Geburtstage lügen nicht: Dezemberkinder fallen durch die Maschen der Sportförderung
Doch auch im Erwachsenensport lässt sich der REA nachweisen. Und das sogar weltweit, wie die Analyse von 243’000 Fussballer-Geburtsdaten beweist, die auf «transfermarkt.de» aufgelistet sind:
Der Datensatz umfasst sämtliche Fussballspieler, die am 20. Februar 2014 bei «transfermarkt.de» erfasst waren. Total sind dies 271’963 Fussballspieler. Bei 243’112 konnte das Geburtsdatum korrekt ausgelesen werden.
Auffällig bei dieser Statistik ist, dass auch die Monate August und September stark vertreten sind. Das ist dadurch zu erklären, dass in verschiedenen Ländern wie Deutschland und der Schweiz bis 1997 nicht der 1. Januar das Stichdatum für den Jahrgangswechsel war – sondern der 1. August.
So profitierten damals die August- und Septemberkinder vom Relativen Alterseffekt. Was gut zu sehen ist, wenn die Statistik nach Geburtsjahren aufgeschlüsselt wird:
Das wiederum beweist, dass der Relative Age Effect nichts damit zu tun hat, dass die im letzten Quartal des Jahres Geborenen weniger talentiert wären als jene mit einem frühen Geburtsdatum. «Wenn man den Stichtag einmal verändert, dann verschiebt sich bloss der Effekt», sagt Michael Romann, der den RAE für die Eidgenössische Sporthochschule Magglingen wissenschaftlich untersucht.
Dass der Effekt bei den Fussballern im Nachwuchsalter (Jahrgang 1993 und jünger) stärker sichtbar ist als bei jenen mit Geburtsdatum zwischen 1980 und 1992, kann verschiedene Gründe haben.
Einerseits lassen die Daten den Schluss zu, dass in den Nachwuchsakademien die körperliche Entwicklung eines Juniors einen sehr starken Einfluss auf die Selektion hat. Andererseits wird der Schritt vom Nachwuchs zu den Profis meist nach Ende der Pubertät vollzogen.
Die Spätgeborenen, die sich bis dahin durchgebissen haben, haben nun keinen körperlichen Nachteil mehr. Ja, sie könnten sogar den Vorteil haben, dass sie als Jugendliche ihre körperlichen Nachteile mit Technik und Taktik wett gemacht haben, dass sie also als Erwachsene die besseren Fussballer sind.