Viele Personen und Persönlichkeiten haben den FC Glarus in der über 100jährigen Geschichte massgebend geprägt. Nebst den ehemaligen Schweizer-National-Spieler Hans Reutlinger, Fritz Künzli und René Botteron spielte auch der zweifache Fussball-Weltmeisterschafts-Final-Teilnehmer (WM 1982 & WM 1986) für die Deutsche Nationalmannschaft Hans-Peter Briegel auf dem Buchholz im Trikot des FC Glarus.

Aber kaum einer der oben erwähnten oder nicht erwähnten Protagonisten hat den FC Glarus spielerisch und den Fussball im Allgemeinen so geprägt, wie Wolfgang Frank.

Schweizweit bekannt wurde der FC Glarus, als er 1988 in die damalige Nationalliga B aufstieg. Trainer war zu dieser Zeit der aus der Deutschen Fussball Bundesliga bekannte Wolfgang Frank. Noch heute schwärmen viele Glarner vom sensationellen Meisterschafts-Auswärtssieg im Joggeli in Basel gegen den Traditions-Verein FC Basel (damals NLB) vom 13.08.1988 (1:2).

Der ganz grosse Aufstieg des FC Glarus begann mit der Verpflichtung von Wolfgang Frank auf die Saison 1984/85. Mit professionellen – und auf unsere Amateurverhältnisse zugeschnittenen – Methoden begann eine neue, erfolgreiche Ära des FC Glarus.

Als erster grosser Erfolg führte er den Verein just zum 75-jährigen Bestehen in die 1. Liga (Saison 1986/87) und nur ein Jahr später in die Nationalliga B (Saison 1987/88). Innerhalb von zwei Saisons hatte der FC Glarus den Sprung von der 2. Liga in die Nationalliga B geschafft.

Aufstiegs-Team Saison 1986/87 von der 2. Liga in die 1. Liga – Wolfgang Frank (Spielertrainer) (mittlere Reihe; ganz links aussen)

In der NLB gehörten sicherlich die Begegnungen gegen die Grossen des Schweizer Fussballs, FC Basel und FC Zürich, zu den Höhepunkten. Vor allem der 2:1-Auswärtssieg im «Joggeli» am 13. August 1988 ist vielen Glarnern heute noch in Erinnerung sein. «Gegen den FC Basel zu gewinnen, war wohl für die meisten unvorstellbar. Nun ist uns diese Sensation gelungen. Dieser Sieg wird mit Sicherheit in die Geschichte des FC Glarus eingehen», diktierte Wolfgang Frank dem Reporter Angelo Umberg der Glarner-Nachrichten in den Notizblock. Immer war den Glarnern in ihrem ersten NLB-Jahr aber nicht zum Jubeln zumute gewesen. So verloren sie im Letzigrund gegen den FCZ mit 1:7. «Diese Kanterniederlage kam ausschliesslich zustande, weil die Glarner nach dem 1:3 ihre bis dahin homogene, gut gestaffelte, Abwehr öffneten», analysierten die «Glarner Nachrichten». Basel revanchierte sich im Buchholz für die «historische» Heimniederlage mit einem 3:0. Im Winter der Saison 1988/89 verliess der Baumeister des Glarner Fussballwunders, Wolfgang Frank, den Aufsteiger und wechselte zum NLA-Klub FC Aarau. Glarus gab seinen «Wundermann» trotz einem bis Ende Saison 1991/92 laufenden Vertrag frei. Die Saison hatte Frank noch als Spielertrainer begonnen, doch nach einem komplizierten Beinbruch im vierten Meisterschaftsspiel fungierte er nur noch als Trainer. Franks Nachfolger wurde Peter Stubbe.

NLB-Team Saison 1988/89 – Wolfgang Frank (Spielertrainer) (mittlere Reihe; zweiter von rechts)

Bericht “www.ballesterer.at” vom 10.07.2019 unter dem Titel “Napoleons Unruhe”

In der Saison 1995/96 rettete Wolfgang Frank Mainz 05 vor dem Abstieg – mit der in der deutschen Bundesliga damals kaum bekannten Viererkette. Mit seiner Suche nach Perfektion prägte er eine ganze Trainergeneration – und riskierte so manche Zerrüttung.

Bei einem Gespräch über Fußball dauert es in Mainz nie lange, bis der Name Wolfgang Frank fällt. Zweimal war er Trainer bei Mainz 05, zweimal endete sein Engagement vorzeitig, weil er dem Verein in Ungeduld den Rücken kehrte. Geprägt hat Frank den Klub dennoch wie kein Zweiter. „Wolfgang war hier der Messias“, sagt der frühere 05-Manager Christian Heidel. „Die Leute haben ihn geliebt. Als er zurückkam, standen sie am Bruchweg Spalier. Das war wie am Palmsonntag.“

DER REVOLUTIONÄR

Als Spieler lautet der Spitzname des nur 1,72 Meter großen Stürmers „Floh“. Neben Stationen in der Bundesliga – VfB Stuttgart, Eintracht Braunschweig, 1. FC Nürnberg und Borussia Dortmund – spielt er Anfang der 1970er Jahre beim AZ Alkmaar. Der von Ajax Amsterdam in der niederländischen Liga praktizierte Totaalvoetbal fasziniert Frank. In Braunschweig prägt ihn Trainer Branko Zebec. Während der ersten Trainerposten bei Schweizer Klubs entsteht Franks Begeisterung für Arrigo Sacchi, der mit dem AC Milan die Meisterschaft und zweimal den Landesmeistercup gewinnt.

Der erste Klub, den Frank in Deutschland betreut, ist 1994 Rot-Weiss Essen. Er erreicht mit dem damaligen Zweitligisten das DFB-Pokalfinale. Dennoch eilt ihm kein besonderer Ruf voraus, und damit ist er wie gemacht für den Posten bei Mainz 05. „Hier wollte ja niemand mehr Trainer werden“, sagt Christian Heidel. „Irgendwer hat mir den Tipp gegeben. Wir haben uns getroffen, das hat mich nicht vom Hocker gehauen. Er hat geredet wie ein Lehrer, ich bin bei Trainern nicht so lehreraffin.“ Die beiden einigen sich dennoch, Wolfgang Frank kommt im September 1995. Was folgt, ist in Mainz längst Legende.

Nach der Hinrunde ist das Team, in dem der junge Jürgen Klopp als Verteidiger spielt, trotz leichter Konsolidierung Letzter in der zweiten Liga. Im Winter erklärt Frank dem Manager, er wolle den Libero abschaffen und mit einer Viererkette spielen. „Da hat hier überhaupt niemand gewusst, was das ist.“ Heidel lässt sich auf die Idee ein. „Es war ja eigentlich schon egal. Ich habe gedacht, schlimmer kann es nicht werden.“ Das Team bereitet sich in einem längeren Trainingslager auf die Rückrunde vor. Zurück in Deutschland steht ein Test beim 1. FC Saarbrücken an, der in der drittklassigen Regionalliga eine gute Figur macht. „Ich habe gedacht, wir gehen unter“, sagt Heidel. Stattdessen steht es zur Halbzeit 6:0 für Mainz. „Die sind gar nicht vor unser Tor gekommen. Wir waren immer einer mehr.“ Christian Heidel lacht, und er hat auch in jener furiosen Halbserie 1995/96 viel zu lachen. Das Team belegt den ersten Platz in der Rückrundentabelle und hält die Klasse. In einer Zeit, in der Viererkette und Raumdeckung für die meisten Bundesligisten noch Fremdwörter sind, leitet Frank eine Revolution ein. In der darauffolgenden Saison spielt Mainz um den Aufstieg mit und scheitert erst am letzten Spieltag am direkten Konkurrenten VfL Wolfsburg.

DER UNGEDULDIGE

Wolfgang Frank ist da schon weg: Er hat im März nach einer Niederlage gegen den VfB Leipzig den Job hingeschmissen. „Im Nachhinein völliger Schwachsinn“, sagt Heidel. „Wir verlieren in Leipzig, er ruft mich an und sagt: ‚Du kannst dir einen neuen Trainer suchen‘. Der Wolfgang ist bei mir bestimmt zehnmal zurückgetreten.“ Die Geduld, die Frank von seinen Vereinen fordert, wenn es um spielerische Veränderungen geht, bringt er selbst selten auf. „Wir reden über ein neues Stadion, und er ist am nächsten Tag verärgert, warum die Bagger nicht da sind. Alles hat sofort sein müssen. Er war ein Verrückter. Das meine ich positiv. Für ihn hat es nur Fußball gegeben. Er hat am Bruchweg gelebt.“

Genau diesen Satz sagt auch der ältere der beiden Frank-Söhne. Sebastian Frank zieht Ende der 1990er aus der Schweiz zu seinem Vater nach Mainz. „Es war eigentlich nie etwas im Kühlschrank“, beschreibt er die Männer-WG. „Morgens hat er sich an der Tankstelle Kaffee und ein Brötchen geholt, den Rest des Tages hat er bei Milan gegessen.“ Milan Stojanov führt bis zum Umzug der 05er in die Arena das Restaurant Haasekessel am Bruchweg, in dem Spieler und Verantwortliche ein- und ausgehen. „Wenn ich ihn gesucht habe, war er im Büro oder bei Milan. Meistens bei Milan, der war sein Versorger“, sagt auch Heidel. Das angesprochene Büro hat der Sohn mehrfach mit dem Vater ausgeräumt, wenn der wieder einmal kurz vorm Absprung war. Und beinahe ebenso häufig wieder eingeräumt. „Manchmal schien es, als wolle er einfach wegrennen“, sagt Sebastian Frank. „Und hin und wieder hat er es ja auch getan.“

Die Söhne wachsen hauptsächlich in der Schweiz auf, die meiste Zeit getrennt vom Vater. „Er hat uns schon gefehlt, das ist etwas, das man selbst anders machen will“, sagt Sebastian Frank, heute selbst zweifacher Vater. Die Zeit, in der sie gemeinsam in Mainz wohnen, ist vielleicht auch deshalb so besonders. „Ich war viel mit ihm unterwegs, er hat geschlafen oder sich vorbereitet, ich bin gefahren.“ Als Frank nach seinem ersten Mainz-Aufenthalt zur Wiener Austria geht, lernt er unterwegs die Namen der Spieler auswendig, dann die Geburtstage ihrer Frauen. „Er wollte, dass sie Blumen bekommen, weil er der Meinung war, wenn die Frauen nicht glücklich sind, sind es die Spieler auch nicht. So ein Mensch war mein Vater. Er hat sich über alles Gedanken gemacht.“

DER RÜCKKEHRER

Niederlagen nimmt sich Frank zu Herzen, er denkt alles in mehrere Richtungen durch, will verschiedene Eindrücke aufnehmen und daraus lernen. „Er war ein Suchender“ – auch das ist ein Satz, den der Sohn ebenso über ihn sagt wie Christian Heidel. Der holt ihn nach einem Jahr persönlich aus Wien zurück nach Mainz. „Ich bin in den Flieger gestiegen und dann zum Training gefahren. ‚Was machst du hier?‘ ‚Ich hole dich ab. Du hast uns im Stich gelassen, jetzt sind wir am Arsch, und ich hole dich zurück‘“, gibt er das Gespräch wieder. Frank sagt, er komme mit, sofern Heidel das Vertragliche regle. „Innerhalb von zwei Stunden hatte ich ihn aus dem Vertrag rausgeholt, und wir sind zusammen zurück nach Mainz.“

Am Ostersonntag 1998 gewinnt Frank mit den 05ern das erste Spiel nach seiner Rückkehr. Die Fans sind selig, hinter den Kulissen gibt es aber auch Schwierigkeiten. Franks Ansprüche an sein Umfeld, der Perfektionismus und seine Ungeduld stellen Manager Christian Heidel auf harte Proben. So zum Beispiel, als der Klub im Dezember 1999 beim späteren Cupsieger Bayern München aus dem DFB-Pokal fliegt. Frank wirft wieder einmal hin. In der Winterpause hört niemand von ihm, beim Trainingsauftakt fehlt er. „Heute undenkbar, damals hat es niemand gemerkt, auch kein Journalist.“ Die Mannschaft fährt ohne Frank nach Hamburg zu einem Hallenturnier. Von da geht es zum Hallenpokal nach Stuttgart – wo Frank am Flughafen wartet. „Als ob nichts gewesen wäre. Da hatte ich die Schnauze voll.“ Manager und Trainer sprechen sich aus und beschließen bei Pizza und Wein Franks Abschied. Als Heidel tags darauf die Spieler informieren will, stehen die bereits auf dem Platz und trainieren: mit Frank.

„Was, wenn ich nachts einen neuen Trainer verpflichtet hätte?“ Heidel steht Jahre später noch die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. „Die hätten mich umgebracht in Mainz. Wie beliebt der war! Ich habe ihm auch nie böse sein können. Aber es war schon Wahnsinn.“ Als Frank in der laufenden Saison den Wechsel zum MSV Duisburg zur nächsten Spielzeit forciert, zieht Heidel die Reißleine: Er kann gehen, wenn er unbedingt möchte, aber dann sofort. Das empfindet Frank als Affront und packt die Koffer. Er wird in Duisburg nicht glücklich und kann auch bei anderen Stationen wie Unterhaching und Offenbach die früheren Erfolge nicht wiederholen. So wenig nachvollziehbar seine Abschiede oft sind, so loyal bleibt er auch, schlägt gute Angebote aus, um Verträge bei kleinen Vereinen zu erfüllen. Seine Suche und der innere Antrieb machen ihn zu einem Visionär seines Berufs, lassen ihn aber nie zur Ruhe kommen.

DAS VORBILD

„Er wollte alles lesen, verstehen, probieren“, sagt Sebastian Frank. „Er war für alles offen. Das hat ihn sehr charismatisch gemacht.“ Heidel erklärt, wie daran anschließend: „Er hat in jedem etwas gesehen. Das war ein Problem in Sachen Kader, es war aber auch eine Gabe.“ Niemand, der unter Frank arbeitete, blieb von dem Mann, den sie in Mainz „Napoleon“ nannten, unberührt. Er hat eine Generation von Trainern geprägt: Jürgen Klopp, Torsten Lieberknecht, Christian Hock, Uwe Stöver und Sandro Schwarz, der 05 heute trainiert. Er sagt: „Wolfgang war mein Lehrmeister.“ Franks Führungsstil, sein Umgang mit dem Team, wird den Spielern zum Vorbild. „Es ist kein Zufall, dass so viele von uns Trainer geworden sind“, sagt Schwarz. „Er hat uns gezeigt, wir können mehr, als das reine Talent uns vorgibt.“

Als Jürgen Klopp im Mai 2013 mit Borussia Dortmund im Champions-League-Finale gegen den FC Bayern steht, schreibt er seinem Mentor ein SMS: „Ohne dich wäre ich nicht hier.“ – „Das war schon etwas Besonderes“, sagt Sebastian Frank, leise. Sein Vater ist da bereits schwerkrank. Beim Training auf dem Laufband wird er ohnmächtig und stürzt unglücklich. Bei der Untersuchung entdecken die Ärzte einen Gehirntumor. Die OP kann seinen Tod nur verzögern. „Mein Vater war ein Mensch, der mitten im Leben stand. Plötzlich war er auf Hilfe angewiesen.“ Wolfgang Frank stirbt im September 2013 auf der Palliativstation der Unimedizin Mainz. Seine Söhne und Lebensgefährtin Stella sind bis zuletzt bei ihm. Zum Heimspiel der 05er eine Woche später gestalten die Fans eine Choreografie. „Mach’s gut, Napoleon“, heißt es da und: „Mainz bleibt deins.“

Choreografie in Mainz zu Ehren von Wolfgang Frank